Diskriminierung

Stellungnahme des Deutschen Familienverbandes zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien

1. Allgemeine Bewertung des Gesetzes

Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, vier EU-Richtlinien zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in nationales Recht umzusetzen und benachteiligten Bevölkerungsgruppen mehr Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte im arbeitsrechtlichen und im zivilrechtlichen Bereich zu geben. In § 1 des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG), das den Kernbestandteil des Gesetzentwurfs darstellt, werden als Benachteiligung im Sinne des Gesetzes die Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität genannt. Hierbei geht der Gesetzentwurf mit Blick auf die Benachteiligung wegen Religion und Weltanschauung, Alter, Behinderung und sexuelle Identität teilweise über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus.

Der Deutsche Familienverband erkennt an, dass die Regierungsfraktionen mit dem vorgelegten Gesetzentwurf den Vorgaben der EU-Richtlinien nachkommen, deren Umsetzungsfristen teilweise schon abgelaufen sind. Die grundsätzliche Frage, in welchem Maße die geplanten Regelungen tatsächlich zum Abbau von Diskriminierungen beitragen und in welchem Maße sie zu mehr Bürokratie und mehr gerichtlichen Auseinandersetzungen führen, die auch die Benachteiligten selber belasten, sei daher nicht ausführlich erörtert. Sicherlich ist jedoch der im Gesetzentwurf enthaltenen Aussage beizupflichten, dass sich Benachteiligung nicht allein mit gesetzlichen Benachteiligungsverboten überwinden lässt.

Völlig unverständlich ist dem Deutschen Familienverband jedoch, dass der Gesetzentwurf keinerlei Hinweise auf den Schutz von Familien vor Benachteiligung enthält. Weder in § 1 ADG, der die relevanten Merkmale auflistet, die zu einer Diskriminierung im Sinne des Gesetzes führen, noch in der – ansonsten überaus ausführlichen und detaillierten – Begründung werden die Benachteiligung und die Lebenssituation von Familien erwähnt. Ein Hinweis auf die Benachteiligung von Familien findet sich erst in ableitender Form in § 3 Absatz 1 ADG (Begriffsbestimmungen), der Benachteiligungen definiert, die „mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang“ stehen, „insbesondere im Fall einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft.“

Diese lediglich ableitende und sehr begrenzte Berücksichtigung wird der gesellschaftlichen Bedeutung und den alltäglichen Diskriminierungserfahrungen von Familien nicht gerecht. Dass diese begriffliche Ableitung auch praktisch nicht ausreicht, um Benachteiligungen von Erziehenden zu berücksichtigen, zeigt sich übrigens schon daran, dass zum Beispiel eine Benachteiligung von Vätern aufgrund der Erziehung von Kindern damit überhaupt nicht erfassbar ist.

Dieses gravierende Manko ist den Regierungsfraktionen nicht allein anzulasten. Denn auch in den zu Grunde liegenden EU-Richtlinien fehlt ein verbindlicher Hinweis auf die Benachteiligung aufgrund der Erziehung von Kindern. Hierin spiegelt sich die Tatsache, dass Familienpolitik als eigenständiger Politikbereich auf europäischer Ebene bislang nicht Fuß fassen konnte.

Allerdings geht der Gesetzentwurf, wie bereits dargestellt, zugunsten anderer Personengruppen durchaus über gemeinschaftsrechtliche Vorgaben hinaus. Dass dies nicht für Familien gilt, erstaunt um so mehr, als die Benachteiligung von Familien auch von der Bundesregierung selbst wiederholt dargestellt und ihre Überwindung zu einem Hauptziel der Politik deklariert wurde. Dies gilt beispielsweise für den 1. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und den Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, auf die im Allgemeinen Teil der Begründung sogar ausdrücklich Bezug genommen wird – allerdings ohne jede Erwähnung der darin beschriebenen Benachteiligung insbesondere kinderreicher und alleinerziehender Familien. Der Gesetzentwurf führt zu Recht aus, dass ein Antidiskriminierungsgesetz nur ein Baustein einer umfassenden Gesellschaftspolitik sein kann, die an den vielfältigen Ursachen der Ausgrenzung bestimmter Gruppen ansetzt. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das die vielfältig dokumentierte Benachteiligung von Familien völlig ausblendet, ist aber nicht einmal ein Baustein. Es ist ein Torso.

Das Grundgesetz enthält in Artikel 6 nicht nur ein Benachteiligungsverbot für Familien, es sichert ihnen darüber hinaus sogar einen besonderen Schutz zu. Angesichts des spürbaren und schmerzhaften Auseinanderklaffens von Verfassungsvorgabe und Verfassungsrealität ist der vorliegende Gesetzentwurf dringend nachbesserungsbedürftig:

Verankerung der Erziehung von Kindern als Benachteiligungsmerkmal in § 1 ADG

Der Deutsche Familienverband fordert konkret die Aufnahme der Benachteiligung wegen der Erziehung von Kindern bei den in § 1 des Antidiskriminierungsgesetzes aufgelisteten Gründen für eine Benachteiligung sowie eine entsprechende Berücksichtigung in Artikel 3 des Gesetzentwurfs (Änderungen in anderen Gesetzen).

Berücksichtigung familienbezogener Maßnahmen in § 5 ADG

Ohne die Berücksichtigung von Familien in § 1 ADG könnte das Antidiskriminierungsgesetz die widersinnige und sicherlich ungewollte Folge haben, dass bereits erreichte familienpolitische Errungenschaften und familienpolitisches Engagement von privater Seite plötzlich in einen Rechtfertigungszwang geraten oder sogar gesetzeswidrig werden. Denn § 5 ADG (Positive Maßnahmen) nimmt im Gesetzestext lediglich solche Maßnahmen vom Verbot einer unterschiedlichen Behandlung aus, die Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindern oder ausgleichen sollen. Der nur in der Begründung enthaltene Hinweis auf aus sonstigen Gründen erlaubte positive Maßnahmen wie die Gesetzentwurf beispielhaft angeführte Gewährung eines Vaterschaftsurlaubs reicht nicht aus, um familienschädliche Missverständnisse verbindlich zu vermeiden. Sollte die Erziehung von Kindern nicht in die Benachteiligungsgründe nach § 1 aufgenommen werden, ist eine entsprechende Formulierung daher im Gesetzestext des § 5 ADG zu verankern.

2. Arbeitsrecht

Die geforderte Berücksichtigung von Familien in § 1 gilt entsprechend für die arbeitsrechtlichen Regelungen des Gesetzentwurfs, die sich regelmäßig auf die in § 1 aufgezählten Benachteiligungsgründe beziehen. Gerade mit Blick auf das Arbeitsrecht und den Arbeitsmarkt wird deutlich, dass die in § 3 vorgenommene abgeleitete Berücksichtigung der Benachteiligung von Müttern den tatsächlichen Sachverhalt umdreht: Mütter sind nicht deshalb am Arbeitsmarkt benachteiligt, weil sie Frauen sind. Sondern Frauen sind benachteiligt, weil sie Mütter sind oder Mütter werden könnten. Die Benachteiligung von Erziehenden am Arbeitsmarkt hängt nicht vom Geschlecht ab, sondern von der Tatsache, dass sie eine Verantwortung für Kinder übernommen haben.

Begrüßt wird die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, ältere Arbeitnehmer oder Stellenbewerber vor Diskriminierung zu schützen. Nicht zuletzt weil auch Eltern von mehreren Kindern nach einer längeren Erziehungsphase der berufliche Wiedereinstieg aufgrund des Alters erschwert oder unmöglich gemacht wird, ist dies ein in hohem Maße familienpolitisches Anliegen. Ohne grundlegende Änderungen auf dem Arbeitsmarkt und im Verhalten von Personalverantwortlichen wird das Antidiskriminierungsgesetz allein jedoch nicht ausreichen. Gefordert ist hierbei nicht zuletzt auch ein Umdenken bei der aktiven Arbeitsmarktförderung und ein entsprechendes Engagement der Arbeitsagenturen und Jobcenter bei der Vermittlung älterer Arbeitsloser.

Ob die im Gesetzentwurf formulierte Zielsetzung erreicht wird, die Anwendung für die arbeitsrechtliche und betriebliche Praxis zu erleichtern, soll an dieser Stelle nicht vertiefend behandelt werden. Allerdings liegt es in der Natur von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, dass sie die Gefahr eines gesteigerten Abwehrverhaltens auf Seiten der Arbeitgeber bergen. Daher sind ergänzend pragmatische Regelungen erforderlich, die von vornherein eine Benachteiligung bestimmter Personengruppen weniger „attraktiv“ machen. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: Zur Finanzierung des Arbeitgeberzuschusses zum Mutterschaftsgeld existiert ein Ausgleichs- und Umlageverfahren, in das jedes einbezogene Unternehmen pro Kopf der Belegschaft, also für Frauen ebenso wie für Männer, einzahlt und dafür die Mutterschaftskosten erstattet bekommt. Größere Unternehmen sind an diesem Verfahren jedoch nicht beteiligt. Das Bundesverfassungsgericht hat daher am 18.11.2003 die gegenwärtige Praxis des Arbeitgeberzuschusses zum Mutterschaftsgeld für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, weil die nicht einbezogenen Unternehmen aus Angst vor den Kosten einer Schwangerschaft lieber Männer einstellen als Frauen im gebärfähigen Alter. Für die bis Ende 2005 geforderte Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht die Einbeziehung aller Unternehmen in das geschlechtsunabhängige Umlageverfahren vorgeschlagen – eine Verfahrensänderung, die die Gefahr einer Diskriminierung deutlich verringert und Vorbild für weitere pragmatische und präventive Neuregelungen sein kann.

Zivilrecht

Die geforderte Berücksichtigung von Familien bzw. die Verankerung einer Benachteiligung wegen der Erziehung von Kindern in § 1 ADG gilt ebenso für das im Gesetzentwurf enthaltene zivilrechtliche Benachteiligungsverbot. Angesichts des im Grundgesetz verbrieften besonderen Schutzes von Familien fordert der Deutsche Familienverband darüber hinaus, die Benachteiligung aus Gründen der Kindererziehung auch in das umfassende Diskriminierungsverbot in § 20 Absatz 2 ADG einzubeziehen.

Besonders deutlich wird die Vernachlässigung der Belange von Familien beim Zugang zu Wohnraum. Die Probleme bei der Suche nach einer Mietwohnung gehören vor allem für kinderreiche Familien zu den schmerzhaftesten Benachteiligungserfahrungen im Alltag. Diese Familien werden durch das Antidiskriminierungsgesetz in seiner jetzigen Form weder berücksichtigt noch unterstützt. Denn wenn sie als Mieter gegenüber Wohnungsinteressenten ohne Kinder den Kürzeren ziehen, handelt es sich beim Ablehnungsgrund in den meisten Fällen weder um die ethnische Herkunft, das Geschlecht oder die Religion noch um eine Behinderung, das Alter oder die sexuelle Identität. Sie werden schlicht abgelehnt, weil der Vermieter oder die Nachbarn lebhafte Kinder nicht im Haus tolerieren wollen.

Die geforderte Berücksichtigung von Familien ist auch mit Blick auf die in § 21 ADG beschriebene zulässige unterschiedliche Behandlung notwendig. Es wäre familienpolitisch völlig kontraproduktiv, wenn zum Beispiel Vermieter, die bewusst eine Wohnung an Familien mit Kindern vermieten möchten, sich dafür nach zivilprozessualen Grundsätzen rechtfertigen müssten oder sogar bestraft würden. Das Gleiche gilt in erweitertem Sinne auch für die Ausweisung von Wohnbauland für Familien.

4. Antidiskriminierungsstelle

Angesichts der auch im Gesetzentwurf erwähnten bereits bestehenden, beratend und unterstützend tätig werdenden Stellen des Bundes, der Länder und Kommunen regt der Deutsche Familienverband an, zu prüfen, ob die Einrichtung einer weiteren Stelle tatsächlich erforderlich ist. Auf jeden Fall sollte sicher gestellt sein, dass Doppelzuständigkeiten vermieden bzw. abgebaut werden.

Wenn eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet wird, muss sie – ebenso wie das Antidiskriminierungsgesetz insgesamt – jedoch die beabsichtigte oder unbeabsichtigte sowie die strukturelle Benachteiligung von Familien in ihre Beratungs-, Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit einbeziehen. Dies gilt auch für die vorgesehene Berichterstattung der Antidiskriminierungsstelle gegenüber dem Parlament. In gleicher Weise sind Vertreter familienpolitischer Organisationen und familienwissenschaftlich ausgewiesene Experten in den geplanten Beirat einzubeziehen.

Berlin, 07.03.2005

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