Ganztagsschulen

Ausrichtung an Qualität

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände in NRW (LAGF) fordert deshalb Festlegungen und Vorgaben, die dem vordringlichen Ziel, die Entwicklungschancen von Kindern zu stärken, gerecht werden. Die Bereitstellung von schulischen Ganztagsangeboten müssen im Kontext der gesellschaftlichen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen gesehen werden.
Entsprechend müssen Ganztagsangebote so geplant werden, dass zum einen die Förderung der Schüler im Vordergrund steht und zum anderen Familien gestärkt, entlastet und stabilisiert werden. Förderung von Kindern und ihrer Familien gleichermaßen In unserer Stellungnahme wollen wir uns in erster Linie auf die Förderung von Kindern, Jugendlichen und ihrer Familien konzentrieren. Fragen der Lernvermittlung sollen dabei nicht im Vordergrund stehen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die aktuelle bildungspolitische Diskussion, die u.a. durch die vor kurzem veröffentlichte Pisa-Studie1 angeregt wurde.
Die LAGF sieht Ganztagsangebote an Schulen als familienergänzende und unterstützende Angebote analog der vielfältigen Angebotsformen in den Tageseinrichtungen für Kinder. Kinder und ihre Familien benötigen deshalb spezifische – auf die individuelle Lebenssituation zugeschnittene – „Förder- und Betreuungsarrangements.“
Wir fordern bei der Planung und Ausgestaltung der schulischen Ganztagsangebote eine Orientierung an nachfolgenden Leitsätzen:

1. Gemeinsame Förderverantwortung von Familie, Schule und Jugendhilfe

Die Förderung von Kindern im Schulalter ist zentrales Thema der Jugend- und Familienpolitik und richtet sich an Schule, Jugendhilfe, Jugendarbeit, Tageseinrichtungen für Kinder und Tagespflege. Sie bezieht damit die Kinder und ihre Familien sowie alle Fachkräfte in Jugendhilfe und Schule ein, um wirkungsvoll sein zu können.
Eine entsprechende umfassende Förderung ist nicht mehr „eindimensional“ von einem Bereich, sondern in gemeinsamer Verantwortung „gleichberechtigt“ und „gleichverpflichtet“ zu erfüllen.
Diese gemeinsame Verantwortung ergibt sich auch aus bildungspolitischen und erzieherischen Notwendigkeiten: „….Gerade deshalb ist es erforderlich, dass Schule und Jugendhilfe sich darauf überprüfen, wie sie ihre zum Teil identischen Aufgaben und Ziele mit den gleichen Kindern und Jugendlichen auch gemeinsam erfüllen können und wie sie ihre Separierung überwinden wollen.“2 gemeinsame Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern
Das Grundgesetz und das KJHG betrachtet Familie als die Instanz, die zur Pflege und zur Erziehung der Kinder berechtigt und verpflichtet ist. Daraus ergibt sich der Auftrag an die Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Eltern bei der Erziehung zu unterstützen. Kinder brauchen kompetente Eltern. Die Fähigkeit der Eltern, den Grundbedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden, ist zu fördern. Dabei muss es Grundsatz sein, Eltern als originäre Interessenvertreter ihrer Kinder und Jugendlichen auf gleicher Augenhöhe zu beteiligen. Um das zu unterstützen, eine enge Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien auf Landesebene, aber auch der betroffenen Ämter auf kommunaler Ebene unverzichtbar.
Das System der Jugendhilfe und Schule haben einen klar definierten Auftrag, der weit über Wissensvermittlung hinausgeht. Diese Systeme sind letztlich Dienstleistungsagenturen und müssen sich – neben ihren spezifischen originären Aufgaben – den Bedürfnissen ihrer Nutzer öffnen und anpassen. Anpassung an die Bedürfnisse der Leistungs-berechtigten.

2. Wunsch- und Wahlrecht, Freiwilligkeit der Inanspruchnahme der Angebote

Die Leistungsberechtigten haben ausdrücklich ein Wunsch- und Wahlrecht bei der Ausgestaltung und Auswahl der Angebote. Dieses Recht wird nur durch „unverhältnismäßige Mehrkosten“ begrenzt (vgl. §5 KJHG). Die Leistungsberechtigten müssen auf dieses Recht hingewiesen werden.

Das Wahlrecht setzt voraus, dass es, entsprechend den Prinzipien des SGB VIII – KJHG vielfältige Angebote gibt, damit die Eltern eine ihren Grundrichtungen der Erziehung entsprechende Förderung außerhalb der Familie finden können. (§ 9 SGB VIII – KJHG)

Wunsch- und Wahlrecht muss umgesetzt werden

Es reicht insofern nicht, dass es zukünftig nur eine an von einer Schule ausgehend gestaltete Förderungsform geben soll. Den Eltern muss ein vielfältiges Angebot zur Auswahl zur Verfügung stehen, durch das sie aufgrund ihrer Nachfrage auch Einfluss nehmen können. Insofern muss es ein vielfältiges, teilweise auch strukturelles „Überangebot“ geben.

Da den Eltern die originäre Erziehungsverantwortung obliegt, kann es folgerichtig auch nur eine freiwillige Wahrnehmung der unterrichtsergänzenden Angebote geben. Eine Entscheidung zur Teilnahme an den Angeboten muss im gleichberechtigten Dialog der Beteiligten unter dem Förderungsgesichtspunkt und eben nicht nur im Hinblick auf die Leistungseffizienz der Kinder und Jugendlichen erfolgen. Das Wohl der Kinder und Jugendlichen muss im Mittelpunkt dieser Kommunikation.

3. Bedarfsermittlung

Die Angebote müssen den Familien gesichert zur Verfügung stehen. Sie sind von den Trägern der Jugendhilfe „rechtzeitig und ausreichend“ zu planen, damit auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann (vergleiche § 80.1 SGB VIII – KJHG). Die Orientierung zur Bestimmung des „Bedarf“ muss von der Lebenslage der Kinder – entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention – ausgehen. Dabei ist die Bedarfslage der Familien, z.B. im Zusammenhang mit der notwendigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu berücksichtigen und die Fördermaßnahme muss den gesamtgesellschaftlichen Wirkungs-zusammenhang betrachten, so wie dies aktuell durch Studien in der Schweiz und in England erfolgt ist.

Überangebot ist notwendig

Es muss deutlich werden, dass der Bedarf für eine verstärkte Förderung der Kinder im Rahmen der Bildungsdiskussion sich nicht aus den Anforderungen der Wissens- und Wirtschaftsgesellschaft“ ergibt, sondern von dem „individuellen“ Anspruch des einzelnen Menschen, ein gesundes und glückliches Leben führen zu dürfen.
Die Bedarfsermittlung kann nur auf örtlicher Ebene erfolgen und muss sich am Bedarf der Familien orientieren. Daher ist der örtliche Jugendhilfeträger verpflichtet, individuell jährlich eine konkrete Bedarfsermittlung mit Hilfe der Träger von Tageseinrichtungen für Kinder und den Schulen zu erstellen. Eltern sollten im Hinblick auf den individuellen Bedarf ihres Kindes beraten werden.

Nutzerorientierung

Beispielhaft könnte der Prozess der Bedarfsfeststellung folgendermaßen aussehen:Stufe: Umfrage bei Eltern in Tageseinrichtungen / Schulen hinsichtlich des Betreuungsbedarfs im kommenden Schuljahr (Fragebogen) Stufe: Familien erhalten durch Erzieher / Lehrer individuelle Beratung im Hinblick auf spezielle Bedürfnisse des Kindes (Berücksichtigung Kindeswohl)Stufe: Ergebnisse werden an stadtteilorientierte Arbeitsgemeinschaft von Jugendhilfe, Schulen, Institutionen, Trägern der Jugendhilfe und Vertretern der Familien weitergeleitet, dort zusammengefasst und unter Zuziehung statistischer Daten aus der Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung auf neue / veränderte Bedarfe überprüft und Konsequenzen gezogen (z.B. werden Träger gewonnen für sich abzeichnende neue Angebotsformen, Träger verändern Angebote , evtl. müssen Einrichtungen neu geschaffen werden/ neu genutzt usw.) Diese Ergebnisse eines solchen offenen Planungsprozesses fließen ein in die kommunale Jugendhilfeplanung, über die im Jugendhilfe- und Schulausschuss abschließend entschieden wird unter Wahrnehmung des gesetzlichen Auftrags, eine bedarfsdeckende Angebotsvielfalt vorzuhalten.

Vorschlag – Bedarfsfeststellung

Der Bedarf an Schulkinderbetreuung darf nicht durch Elternbeiträge gesteuert werden. Elternbeiträge sollten grundsätzlich nicht erhoben werden, es sei denn, die Familien wären durch einen echten Familienleistungsausgleich in der Lage, diese Aufwendungen zu finanzieren.

4. Qualitätsorientierte Ausgestaltung der Angebote

Grundvoraussetzung für eine qualitätsorientierte Ausgestaltung der Angebote ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Dabei muss es vertraglich geregelte, verantwortliche Kooperationen geben, um klare Vorgaben und Zielsetzungen zu formulieren. Kostenlose Bildungs- und Erziehungs- förderung .

Nach § 81 SGB VIII („Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen“) werden die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Zusammenarbeit mit Schulen und Schulverwaltung u.a. verpflichtet. Es fehlt allerdings bislang eine vertragliche Verpflichtung der Schulen zur Zusammenarbeit. Der Impuls zur Zusammenarbeit kommt bisher noch überwiegend aus der Jugendhilfe. Ein Appell ist hier alleine sicherlich nicht ausreichend.

Die Zusammenarbeit muss organisiert und moderiert werden. So sind Formen / Modelle der Kooperation zu entwickeln / zu erproben3. Alle Beteiligten sind gleichberechtigte Kooperationspartner. Eine Situationsanalyse vor Ort sowie eine Bedarfsplanung und die Entwicklung kleinräumiger Lösungsansätze wäre Aufgabe dieses Gremiums (z.B. gemeinsame Raumnutzung, gemeinsamer Mittagstisch, gemeinsames Ferienangebot). Eine Abstimmung der Angebote von Tageseinrichtungen, Jugendhilfe und Schule sowie Vereinen und Selbsthilfeorganisationen im Stadtteil / in der Region ist für die Umsetzung der Ausgestaltung der Angebote notwendig. Dabei können die Ressourcen (Räume, Personal) der verschiedenen Anbieter gegenseitig nutzbar gemacht werden.

Verpflichtung zur Zusammenarbeit

Das Land darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen:

Auf Länderebene sind die erforderlichen rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen der Zusammenarbeit zu schaffen. Das Land muss Qualitätsstandards vorgeben, damit es kein Gefälle zwischen den Regionen gibt und annähernd gleiche Förderchancen garantiert werden können.

Verantwortung des Landes

Die kommunalen Träger sind finanziell in die Lage zu versetzen, ihren Verpflichtungen nachkommen zu können. Hierzu wird es unentbehrlich sein, die Rechtsgrundlage des § 24 KJHG durch ein entsprechendes Ausführungsgesetz auf Landesebene auszuformen. Die LAGF fordert einen Rechtsanspruch für alle Kinder und Jugendlichen bis zur Ende der Schulpflicht auf Erziehung und Bildung, damit es künftig keine Diskussionen mehr über einen Förderungsanspruch gibt.

Aus Familiensicht müssen die Maßnahmen verlässlich sein – auch z.B. während der Schulferien. Qualitätskriterien Dem Prinzip der Verlässlichkeit auf Anbieterseite entspricht eine gewisse Verbindlichkeit der Inanspruchnahme der Angebote durch die Nutzer im Interesse des Kindeswohls.
Ganztagsangebote sind einzubeziehen in ein weiteres Netzwerk kind- bzw. familienbezogener Angebote und Dienste; z.B. Hausaufgabenhilfen und Arbeitsgemeinschaften an Schulen, Beratungsdiensten, Familienbildung, Hilfen zur Erziehung, Angeboten der außerschulischen Bildung u.a. im Rahmen der Jugendhilfe und Jugendarbeit sowie privater Anbieter (Museen, Jugendtheater etc.).

Die Angebotsentwicklung4 muss die unterschiedlichen Altersgruppen, die verschiedenen Anforderungen von Mädchen und Jungen und die unterschiedlichen Nationalitäten (interkulturelle Kompetenz) der Schüler und Schülerinnen berücksichtigen.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände erwartet von der Politik einen Paradigmenwechsel in der Frage, wie Kinder und Jugendliche zu fördern sind. Zwar erkennt die Politik offensichtlich an, dass der Bedarf an schulischen Ganztagsangeboten stetig wachsen wird, aber der Ausbau der Angebote ist bislang lediglich an quantitativen Größen gekoppelt. Der eingeschlagene Weg, in kurzer Zeit viele neue Ganztagsplätze mit möglichst geringen finanziellen Mitteln zu schaffen, wird den Herausforderungen und Notwendigkeiten zur Verbesserung der Förderung von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft nicht gerecht. Es kann nicht darum gehen, in welcher Zeit wie viele Plätze geschaffen werden können, sondern die entscheidene Frage ist, wie die Angebote inhaltlich aussehen müssen, um eine Verbesserung der Förderung von Kindern und Jugendlichen zu erreichen.

Dabei sind die Zielsetzungen5 seit langem bekannt. Der Reformstau in der Bildungspolitik muss endlich beseitigt werden, indem von den Zielen und Förderungsnotwendigkeiten her gedacht, geplant und umgesetzt wird. Die Gestaltung der offenen Ganztagsschule muss entsprechen als Chance gesehen werden, den Defiziten in der Bildungspolitik zu begegnen.

Das könnte Dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert