Mit Kindern doppelt belastet

„Mit Kindern doppelt belastet“

Interview:Familienverband fordert bei Sozialversicherungskosten Freibetrag für jedes Kind

Das Thema

Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf für die Pflegereform beschlossen. Ziel: Bessere Leistungen für Angehörige, Betroffene und Pflege – und höhere Beiträge. Der Deutsche Familienverband rügt massive Schwachstellen. Wir sprachen mit Geschäftsführer Siegfried Stresing.

Herr Stresing – mehr Leistungen in der Pflege und höhere Beiträge. Sie sehen Familien mit Kindern im Entwurf der Reform benachteiligt. Warum? Siegfried Stresing: Mehr Leistungen machen die Pflege teurer – das ist klar. Unser Verband kritisiert, das häusliche Pflege völlig unzureichend honoriert wird.

Und bei den Beiträgen, was stört sie da? Stresing: Das Familien mit Kindern doppelt belastet werden. Zum einen zahlen sie Beiträge, bald höhere Beiträge. Zum anderen leisten Familien mit der Erziehung ihrer Kinder eine Genrationenvorsorge. Das ist eine geldwerte Leistung, ohne die das Umlagesystem nicht funktionieren würde. In der Beitragsrechnung ist das nicht berücksichtigt.

Das heißt: Familien mit Kindern sollen aus ihrer pro Kind gegenüber Kinderlosen entlastet werden? Stresing: Genau – und das nicht nur bei den Pflegebeiträgen, sondern bei allen umlagefinanzierten Generationenverträgen, also auch bei Rente und Krankenversischerung. es gibt mehrere Bundesverfassungsgerichtsurteile, die uns in dieser Forderung klar unterstützen.

Aber wurde nicht in Reaktion auf Karlsruhe der Pflegebeitrag 2005 für Kinderlose extra nagehoben auf inzwischen 2,3 Prozent, 0,25 Punkte höher als für Beitragszahler mit Kindern? Stresing: Das ist zu wenig – und außerdem berücksichtigt das ja immer noch nicht die Kinderzahl von Beitragszahlern mit Nachwuchs.

Wenn das zu wenig ist – wie müssten Familien aus ihrer Sicht besser gestellt werden? In Euro ausgedrückt? Stresing: So wie ein Existenzminimum von der Besteuerung freigestellt wird, müsste es pro Kind einen Freibetrag bei der Sozialversicherung geben.

Eines der Karlsruher Urteile, auf das sie anspielen, stammte aus dem Jahr 2001. Da dürften Sie als Lobbyverband die Bundesregierung schon oft aufgefordert haben, Erziehungsleistungen stärker zu berücksichtigen, oder? Stresing: Natürlich – aber die ANtwort lautet immer: Alles umfassend umgesetzt, kein Handlungsbedarf. Jedes Mal derselbe Tenor, egal von welcher Koalition.

Wie erklären sie sich das? Stresing: Naja – Entlastung und Belastung müssten innerhalb des Systems neu verteilt werden. Da will die Politik nicht ran. Jeder zaghafte Versuch aus den Parteien wird mit Parolen wie „Kinderlosenstrafsteuer“ im Keim erstickt.

Was bleibt dem Familienverband? Stresing: Wir unterstützen drei Familien aus Freiburg bei Klagen, die es inzwischen bis vors Bundessozialgericht gebracht haben. Das könnte sich noch vor der Sommerpause damit befassen. Wir hoffen, dass die Klagen vom Bundessozialgericht an Karlsruhe überwiesen werden. Würden sie abgewiesen, könnten die Kläger immer noch selbst vors Verfassungsgericht ziehen.

Artikel von Wolfgang Riek

Dazu der Kommentar:

Richtig, aber zu zögernd

Die vorgesehene Erhöhung des Pflegegeldes wird kein Betroffener zurückweisen, das tatsächliche Plus von knapp 20 Euro Plus hat aber doch eher symbolischenCharakter. Ungleich wichtiger an der Pflegereform der großen Koalition ist die geplante  großzügigere Genehmigung und Ausweitung von Unterstützung im Alltag. Tagespflege, Betreuer für einige Stunden, Umbauten daheim und Helfer für Erledigungen bedeuten Entlastungen, deren Wirkung sich schwer in Geld umrechnen lässt. Sie tragen dazu bei, dass ein Pflegebedürftiger länger in seinem Zuhause bleiben kann – und das wünschen sich alle. Viel zu zögernd kommt dagegen die Erweiterung des Pflegebegriffs. Warum kann die seit Jahrzehnten bestehende Einteilung in drei Pflegestufen erst 2017 aufgebrochen werden? Es ist lange bekannt, dass Demenz – Patienten grundsätzlich einbezogen werden sollten. Noch stehen ihre Angehörigen oft unter unwürdigen Rechtfertigungsdruck. Unverständlich ist auch, warum die Koalition zur Finanzierung der Reform nichts anderes einfällt, als die Beiträge zu erhöhen. Rekordeinnahemn an Steuern, Milliardenreserven bei den Krankenkassen: Das Geld ist da, es müsste nur sinnvoll verwendet werden. Hier bistet sich ein gute Zweck an.

Ein Kommentar von Tatjana Coerschulte

 

 

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